Knochen-Kunst: Schädelmalerei im Beinhaus

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Hossa, Ossa! Nein, mit einer ausgelasssenen Freudenfeier à la Rex Gildos „Fiesta Mexicana“ hat das lateinische Wörtchen „Ossa“, sprich Knochen, nichts gemein. Höchstens mit einer Toten-Feier. Und zwar der, im Zuge einer Zweit-Bestattung. Bereits seit dem Hochmittelalter existierte dieser Brauch einer Bestattung 2.0. Und war in ganz Mitteleuropa verbreitet. Nach einer Zeitspanne von fünf bis zu vierzig Jahren – je nach örtlicher Gepflogenheit und Bodenbeschaffenheit – wurden die menschlichen Überreste, die sich nach den natürlichen Verwesungsprozessen, noch in der Erde befanden, also die Knochen, ausgegraben und in einem sogennanten Ossuarium, im deutschsprachigen Kulturbereich Beinhaus oder Karner genannt, zur letzten Ruhe gebettet. Gebettet ist in diesem Zusammenhang eher ein Euphemismus, denn in der Realität wurden vor allem die Schädel, aber auch Oberschenkel- und Schulterknochen entlang der Mauern gestapelt, in Nischen und Schächten zu wahren Knochenbergen getürmt.

Für unser heutiges Verständnis von Pietät ein durchaus makabrer, befremdlicher Brauch. Tritt einen hier doch der Tod, die Vergänglichkeit alles Materiellen sehr plastisch, augenscheinlich vor Augen. Neben Massenbegräbnissen, um zum Beispiel nach blutigen Schlachten, bei Seuchen oder anderen Katastrophen die Leichenberge schnell zu beseitigen, wurde es in manchen Regionen gebräuchlich die Schädel zu beschriften, bevor sie ins Beinhaus wanderten. Der Schwerpunkt der „Beinmalerei“ lag dabei in Oberösterreich, im Salzkammergut, dem Bayerischen Wald und im östlichen Oberbayern jenseits des Inns.

Name, Geburts- und Sterbedatum wurden akribisch aufgeführt, dazu zierten Blumengebinde oder sakrale Motive wie Kreuze oder Marienmonogramme die Schädelknochen. So wuste man, ob dort der Großvater oder ein anderer Urahn lag, der Schädel bekam so ein Gesicht. Vor allem im 19. Jahrhundert blühte diese spezielle Form der Malerei. Nicht nur der Todestag, sondern auch die näheren Umstände des Dahinscheidens wurden nun notiert, mit religiösen Sinnsprüchen garniert. Die eingehende Beschriftung der Totenschädel mit Namen, Lebensdaten, einem frommen Spruch entspricht dabei der zur selben Zeit aufkommenden Sitte die „oberirdischen“ Gräber mit einem schmiedeeisernen Kreuz, schließlich mit Grabsteinen zu versehen.

Mit der Zeit wurden aus den Schädeln wahre Kunstwerke. Waren es zunächst simple Symbole wie das Kreuz, das Christusmonogramm IHS oder das Herz Jesu, die wiederum von Blütenkränzen, Eichenlaub, Lorbeerkringel und verschnörkelten Kartuschen umrahmt waren, kam später die Memento Mori-Motivik in Mode, mit sich gruselig windenden Schlangen, Sensen schwingenden Totengerippen und ähnlich schauerlichen Darstellungen. Diese „Horror-Show“ sollte den Hinterbliebenen, wenn diese in den Beinhäuser beteten, Weihwasser versprengten oder ein Totenlichtlein aufstellten, drastisch vor Augen führen, dass alles Gewese der materiellen Welt nichts wie Schall und Rauch war, alles, aber auch wirklich alles vergänglich und den unerbittlichen Gesetz von Werden und Vergehen unterworfen war.

Dinesh Bauer Nov 2022

Des Kreuz um de Hütt’n

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Einsam ist es hier oben, der Ofen ist kalt, das Licht trüb und glasig. Eine märchenhafte Monotonie umfängt einen. Das Marterl steht da wie immer, fest mit der Erde verwachsen. Der Heiland streckt uns seine Hände entgegen. Der Gekreuzigte, nackt und bloß sein unnatürlich, von Schmerzen verkrümmter Leib. Hier oben wäre er längst erfroren.  Seine Jünger, ein nichtsnutziger Haufen feiger Gesellen, ist geflohen – hat ihren Herren hungern und frieren lassen. IHS – ich hasse Schnee! Still ist es – und es wird schnell dunkel werden. Die Nacht geht einem nah im Winter. Frost, Eis und Schnee zogen von jeher enge Grenzen, lassen keinen Raum für große Sprünge. Wie im Leben und im Tod waren einem eben Grenzen gesetzt – nach oben, wie nach unten. Das Gesetz der Schwerkraft erlaubte uns keine großen Sprünge. Nur kleine, bedächtige Schritte, die uns im Kreise, an der Nase herumführen. Da heißt es warten, auf den Frühling, den Lenz, die Herden, die seit Jahrhunderten vom Tal herauf ziehen – für einen Almsommer lang. Mit ihnen kommen die Hirten, Jahr um Jahr, seit Jahrtausenden im ewig gleichen Kreislauf, schreiben sie ihre Geschichte, die über Stock und Stein immer weiter führt, einer fernen, ungewissen Zukunft entgegen. Wirft doch die hellste Sonne, die düstersten Schatten. Und der Weg zur Hütt’n hinauf oder ins Tal hinunter war gar steil und steinig. Da schadet ein gebet nicht. Schon rein sicherheitshalber. Das Leben der leut in den Bergen war noch nie einfach. Um diesen Umstand wusste man. Und formte ihn zu sprichwörtlichen Wendungen: „Nix gwiss, weiß man ned!“ „S‘ werd nachad scho wern!“ Eine gewisse Skepsis war damals, ja ein nicht näher bestimmbarer Defätismus erscheint bis heute, im hier und jetzt angebracht.

Dinesh Bauer

Mia Zwoa – Boandl & Kramer

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Servus Beinand,

Roland „Kramer“ Schwarz und H.P.D. „Boandl“ Bauer gehören z‘samm wie Sensen und Sichel. Boandl & Kramer – der Name ist Programm! Wir – zwei gstandne Isartaler-Buam – wollen es auf de „oiden Dog“ noch einmal angehen. Wir wollen die Tradition der alten bayerischen Liedermacher und Hoagascht-Musikanten wie den Tegernseer Sängern oder dem Kraud’n Sepp wiederbeleben. Darum übernehmen wir „modernere“ Elemente der Country Music, des Wiener Lieds oder des Austro Pops – und die Texte versehen wir mit einem eigenen, unkonventionellen „Spin“. Die Genre-.Bezeichnung lautet korrekterweise wohl New Bavarian Folk Music – oder auf den Punk gebracht: Garagen- oder Grunge-Gstanz’l. Eben etwas für waschechte Gipfelklatscher.

Nehmen wir zum Beispiel eines unser rund 70 selbst gestrickten Stück’l. Der „Wildschütz von Wall“ kommt im klassischen Kleid des traditionellen Volkslieds her, dass vor 100 oder 150 Jahren ähnlich geklungen haben mag. Der Text folgt weitgehend dem gattungstypischen Duktus, bis die Pointe einen „aus der Art geschlagenen“ Akzent setzt. Outet sich der stramme Wildschütz doch als „Regenbogen-Jünger“, der seinem Waidgenossen dem Franz’l, aber auch dessen Gespielin der Marei zugetan ist. „I mag mein Franz’l – und sei Schicks…“ Es wäre eine Freude, wenn wir bei Gelegenheit für euch aufspuin‘ dürfen.

Herzlich grüßen, Boandl & Kramer, lasst’s a’s renga…

https://www.youtube.com/watch?v=GoodVtHJLzs

Boandl & Kramer beim BR

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Boandl & Kramer, das passt wia de Maß auf’n Bierdeckel. „Boandl“ Bauer und „Kramer“ Schwarz kennen sich seit mittlerweile 50 Jahren – und stammen beide aus der Flößerstadt Wolfratshausen. Die Musik und die Texte sind handgemacht, urwüchsig, echte Originale. Manchmal übermütig, manchmal feinsinnig, manchmal schwarzhumorig, aber immer „grad heraus“ – boarisch, sakrisch, guad. Vor drei Monaten haben wir eine eigne Seite beim Bayerischen Rundfunk eingerichtet – auf der Volksmusikplattform von BR Heimat. Da stellen wir unsere neuesten „Kreationen“ vor!

Wir sehen uns selbst als „Garagen-Gstanzler“, die in der Tradition ungeschliffener bayerischer Liedermacher wie dem Kraud’n Sepp vo Gaißach einfach drauf los musizieren – aus purer Freud im „Folterkeller“ oder idealerweise beim Hoagart, beim Musikantentreffen, im Herrgottswinkel in der Wirtsstuben. Es heißt schließlich bei uns nicht umsonst „Stubenmusi“!

In der „staaden“ Corona-Zeit haben wir intensiv zusammen gsunga und Stückl’n komponiert – über 70 Liader san so im letzten Jahr entstanden. Darunter echte, ungeschliffene Perlen. Beispielsweis über an Kart’ler dem Fortuna nicht Hold ist – und deswegen am End mit LEERE HÄND dasteht! Hört’s amoi nei, habt’s a Freid! Euer Boandl & Euer Kramer

https://br-volksmusikplattform.de/boandlkramer

Gedanken zur Zeit – Wechselwirkungen I

Wie wechselwirken die physikalischen Kräfte, um die Sterne entstehen zu lassen? Sie wechselwirken indem Sie die einzelnen Elemente verschmelzen, umformen. In der wilden Welt der Elementarteilchen spiegeln sich die Spielregeln des Universums. Der Bauplan des Kosmos ist Maßarbeit – steckt ein Plan, gar ein Gott dahinter? Was wir über die Unendlichkeit zu glauben wissen, ist wellenförmig, ist Licht, ist nicht. Das Wissen über all die physikalischen Phänomene, sind mit unsichtbarer Tinte auf die schwarze Folie des gekrümmten Raums geschrieben. Wie sollen wir die Zeichen entziffern, da jene heilige Schrift, welche die Kabbalisten für einen Teil der Bibel halten, im Labyrinth der Worte versteckt ist. Im hintersten Winkel einer Bibliothek vergilbt der zweite Band, der Appendix listet die Algorithmen des Alls. Der Bleistift balanciert auf der Spitze – doch die Empirie fragt nicht nach dem Warum, sondern nach dem „Gewusst Wie“! Die Gesetze der Natur erkennen, bedeutet nach der Ur-Formel zu suchen. Indes: die Natur der kleinen Dinge verschließt sich dem forschenden Geist und öffnet sich dem Träumer. Das Mysterium transzendiert die Formen der Materie. Willkommen im Club der Dichter, der Denker – dem Club Cohiba!

De Hemadlenz’n

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Ein jeder echte Bayer – zumindest diejenigen, die wie ich in den 60er Jahren aufgewachsen sind, weiß was ein „Hemadlenz“ ist – eine Person, die nur mit einem Hemd bekleidet, unterwegs ist. Im übertragenen Sinn bezeichnet es einen Halbwüchsigen, egal ob Bub oder Mädchen. In meiner Jugendzeit war es bei uns Brauch nicht etwa einen Pyjama, sondern lediglich ein Nachthemd zu tragen.

Der Name „Lenz“ respektive Lorenz lässt sich vom heiligen Laurentius herleiten, der in der Frühzeit des Christentums in Rom so eine Art Tafel für in Not gerate Mitglieder der Gemeinde organisierte. Unter Kaiser Valerian wurde er der Legende nach am 10. August 258 öffentlich hingerichtet – sprich er wurde gefoltert und wie eine Bratwurst auf einem glühenden Eisenrost gegrillt. Kein angenehmes Ende, doch der Lenz soll dem Kaiser vor dem Tod noch zugerufen haben: „Du armer Mensch, mir ist dieses Feuer eine Kühle, dir aber bringt es ewige Pein.“ Zu Lebzeiten bekleidete Laurentius das Amt eines Diakons, der von Amts wegen eine Dalmatika trug.

Das Outfit erinnerte die Menschen späterer Jahrhunderte an ein Hemd – und so war der Ausdruck „Hemadlenz“ in der Welt. Die Bezeichnung Hemadlenz wurde in ganz Altbayern verwendet. So hieß es bei meiner Oma immer scherzhaft: „Jetzt aber schleunigst ab in die Federn, du kleiner Hemadlenz!“ Bei manchen Faschingsumzügen liefen die Hemadlenzen – ausschließlich Männer – mit. Zu einer besondern Blüte gelangte der Brauch in Dorfen, einer Kleinstadt im Isental.

Bei den Dorfener Maschkera waren die „Hemadlenzen“ – weißes Hemd, weiß gepudertes Gesicht, schwarze Zipfelmütze – eine feste Institution. Gefeiert wurde vor allem am Unsinnigen Donnerstag. Die Hemadlenzen waren schon vormittags auf der Straße – um sich bei den Anwohnern gebührend mit Würstel, Semmeln, Bier und Wein einzudecken. Als besondere Attraktion wurde der Hemadlenz herumgekarrt: eine Strohpuppe in einem Käfig. Zur Krönung des wilden Treibens wird der Puppe einen Strick um den Hals gelegt, dann baumelt sie am Galgen, nur um anschließend verbrannt zu werden. So wird – für alle sichtbar – der Winter ausgetrieben. Beim nachmittäglichen, eigentlichen Faschingsumzug darf sich kein Hemadlenz mehr blicken lassen – denn der Winter ist ja nun – zumindest für dieses Jahr – in Flammen aufgegangen.

Dinesh Bauer

Boandl & Kramer – Buena Vista auf boarisch

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Boandl & Kramer, das ist bayrischer Garagen-Volk mitten aus dem Oberland. Odraht, handgemacht, urwüchsig. Manchmal übermütig, manchmal nachdenklich, manchmal hinterkünftig, aber oiwei „gradraus“. Ohne Schubladen und Schablonen. Die Musiker „Boandl“ Bauer und „Kramer“ Schwarz kommen beide aus dem Isar-Loisachtal, aus Nantwein respektive Waldram – und kennen sich, seit mittlerweile 50 Jahren, sappradi. Die Musik und die Texte sind durch die Bank selbst gedrechselt – Originale, wie die beiden Musiker selbst. Dass es bei Boandl & Kramer recht lustig zugeht, merkt man ihren Schmuck-Stückerl’n an. Ob nun der „letzte Cowboy“ mit den Buffalo-Buam auf Tour geht, sich die „Bichler-Buam“ als Grenzgänger und Gipfelstürmer durch die Steilwände hangeln oder sich der „Wildschütz vo Wall“ auf Knall und Fall zu einer Menage à trois bequemt. Boandl & Kramer – boarisch, sakrisch, guad. Hört’s mei nei!

https://www.youtube.com/watch?v=pPM9N088N58&t=200s

Betrachtungen zum Boandl – ein Psychogramm

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Der Boandl oder der Boandlkramer ist ein allegorischer Begriff, die Personifikation des Todes, der einen tief in die bayerische Seele blicken lässt. Zu den Vorfahren der Bajuwaren zählten die im Oberland und in den Alpenregionen ansässigen keltischen Stämme, die Räter, die Breonen, die Vindeliker mit ihren vier Unterstämmen, den Cosuaneten, Rukinaten, Likatier und Caternaten – archaisch klingende Namen, die ohne die römischen Geschichtsschreiber wie Cassius Dio längst vergessen wären. In dem großen Feldzug des Jahres 15 vor Christus besiegen die römischen Feldherrn Drusus und Tiberius die keltischen Stämme und besetzen das Land bis zur Donau. Die keltischen Einwohner werden in den folgenden Jahrhunderten romanisiert und weitestgehend assimiliert. Mit dem Abzug der römischen Legionen im 5. Jahrhundert entstand im Gebiet zwischen Alpen und Donau ein Machtvakuum. Dieses füllen nach und nach die Baiern, die ab dem 6. Jahrhundert ein eigenes Herzogtum bilden. Woher die Bayern respektive Bajuwaren kommen, ist in Kreisen der Historiker bis heute umstritten. Wahrscheinlich kommen sie – im Gegensatz zu all den anderen germanischen Stämmen – von nirgendwo her.

Die Genese des bayerischen Volks erfolgte wohl eher in einem dynamisch, organischen Prozess. Die hier siedelnden Keltoromanen vermengten sich über einen Zeitraum von 250 Jahren hinweg mit einigen „Zuzüglern“: Slawen aus dem Nordosten, Germanen aus dem Nordwesten, dinarischen Stämmen aus dem Südosten. Aus dieser genetischen Mixtur entwickelte sich nach und nach ein eigener Phänotyp. Von eher stämmiger Statur, mit kantigen, grob gehauenen Gesichtszügen, schwarzer Mähne und eher dunklem Teint. Dazu die typischen Charaktereigenschaften des „Homo Bavaricus“: streitlustig, schlitzohrig, starrköpfig, abergläubisch, fatalistisch, nicht sonderlich sittsam und zur Trunksucht neigend. Ein Charakterbild das noch Anfang des 20. Jahrhunderts von aus Norddeutschland stammenden Gelehrten kolportiert wurde. Das „keltische Erbe“, samt seiner Geisterwelt, hat in der bayrischen Seele bis heute sichtbare Spuren hinterlassen. Archetypische (Kult-)Figuren wie der Krampus, die Perchten, der Sparifankerl oder eben der Boandlkramer sind genuin keltischen Ursprungs.

Der „Boandlkramer“ ist eine ureigene, bayrische Wortschöpfung, die sich aus den Begriffen „Boandl“, sprich dem Gebein, sowie dem „Kramer“, einem herumfahrenden Händler und Geschäftemacher, eben einer Art „Kleinkrämer“ zusammensetzt. Einer solchen, eher armseligen, etwas schmierigen Erscheinung bringt man wenig Achtung und Respekt entgegen. Der bayrische Tod hat im Gegensatz zum gebieterischen Sensen- oder Knochenmann nichts „Dämonisches“, „Unheimliches“ an sich. Um den Tod macht man in Folge dieser „Ikonografie“ kein großes Aufhebens – er gehört zum Leben dazu, nicht mehr und nicht weniger.

Der „Boandl“ ist nicht etwa ein selbstherrlich agierender Popanz, sondern eher ein untertänig auftretender Knecht, der im Auftrag des „Herrn“ seine Arbeit erledigt. Vom Aussehen her, ein bleicher Gesell, ein Armenhäusler, hohlwangig und „knochig“, der halt seinen Job macht, weil es ihm aufgetragen respektive „aufgesetzet“ ist. Als typische „Krämerseele“ ist er einem Handel, einem Spielchen nie abgeneigt. Der Tod ist ein „odrahta Schlankl“. Per se kein unsympathischer Bursche, der einen eben „in aller Unschuld“ ins Jenseits befördert – ohne großes Brimborium. Wer findig und hinterfotzig genug ist, kann den Boandlkramer jedoch überlisten und über den Tisch ziehen. Sprich: in Bayern steht man mit dem Gevatter Tod auf vertrautem Fuß. Wie weiland die alten Kelten fürchtet sich ein echter Alpen-Aborigine vor wenig – und schon gar nicht vor dem Tod. Höchstens, dass einem – nach der sechsten Maß – doch noch der Himmel auf dem Kopf fällt.

Dinesh „Boandl“ Bauer

Stad’l-Session mit „Boandl & Kramer“ – vui Spaß dabei:

De grantige Wirtin

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Photo2946Das Tegernseer Tal ist heute das Kernland der bayerischen Bonzokratie. Rund um den Lago di Bonzo hat die burschikose Bussi-Bussi-Society ihr Domizil aufgeschlagen. Hier trägt man Tracht – auch wenn die aufgebrezelte Botox-Diva und der abgetakelte Joppen-Jüngling kein Wort Bayrisch kauderwelschen. Ende des 19. Jahrhunderts war die schon damals blaublütig, bourgeois angehauchte Gegend rund um den See im schreienden Kontrast zu der seelenlosen Schicki-Szene, ein Hot Spot der bayrischen Literatur und Mundartdichtung. In der zweiten Hälfte ließen sich an dem im Sonnenlicht funkelnden Gewässer inmitten grüner Hügel zahlreiche „Verseschmiede“ und „Federfuchser“ nieder. Die beiden „Wiggerl“ – Ludwig Ganghofer und Ludwig Thoma lebten hier und liegen Seite an Seite am Friedhof von Egern begraben.

800px-Ludwig_Thiersch_Bildnis_des_Dichters_Karl_Stieler_1868Es kommt schließlich nicht von ungefähr das Franz von Kobell die Parade-Figur des schlitzohrigen Bayern, den Brandner Kaspar, in Tegernsee verortet. „Der Brandner-Kasper is a‘ Schlosser g’west und hat bei Tegernsee a‘ kloa’s Häusl g’habt, hübsch hoch ob’n a’m Albach, wo mar auf Schliersee ’nübergeht“, heißt es am Anfang der humorigen Geschichte. Kobell war eine der großen literarischen Vorbilder eines anderen, heute weniger bekannten Tegernseer „Romanciers“, der in seinen Dichtungen, seinen Natur-. und Lebensbildern mit Vorliebe das rurale und rustikale Element bediente. Zu seiner Zeit war der 1842 geborene Karl Stieler eine feste literarische Größe. Der gelernte Jurist war als Schriftsteller höchst erfolgreich – sein Stil gefiel.

800px-Karl_stieler02Die zeitgenössische Literaturkritik bescheinigte dem Autor, dass die Auswahl seiner Stoffe und deren moralischer Gehalt den Beifall des kundigen Publikums verdiene: „Freier Lebensgenuss in den Bergen, Liebesglück und vaterländische Begeisterung“ seien „die immer wiederkehrenden Motive seiner Poesie“. Seine Werke – darunter „Weil’s mi freut!“, „Habt’s a Schneid?“ oder „In der Sommerfrisch“ zeichneten sich überdies durch eine untadelige, formale Gestaltung aus. Der gebürtige Münchner war am Tegernsee aufgewachsen – und Zeit seines Lebens zog es ihn zu den magischen Orten seiner Jugend. Und er verstand es, den einfachen Leuten, den Bauern, Schankdirnen und Holzknechten, aufs Maul zu schauen…Ein Beispiel aus der Gedichtsammlung „Habt’s a Schneid?“ gefällig? „De alte Wirtin z‘ Unterberg, die macht a grantig Gfriss, die ko de Fremdn gor ned leid’n, weil Sie a Wirtin is.´Und wenn wer hikimmt, nachad gront’s, was wollt’s denn Gsindel fremd’s, kriagt’s wieda gor nix z’fressen z’Haus, daß’s bis da eini kemmt’s?“

Dinesh Bauer

P.S: Mehr von mir als Autor? Meine Bayern-Krimis san so schlecht aa ned. Schmökert’s und schnüffelt’s eini. Im Buchhandel und online in den Book-Shops.

Kreuzfahrt ins Gesäuse

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I wanna see the Eiger! Ja und natürlich auch das Matterhorn. Seit die Menschen anfingen, in der unwirtlichen Bergwelt ein fernes, romantisch verbrämtes „Sehnsuchtsziel“ zu erblicken, also seit etwa 175 Jahren, lockten die imposanten Gipfelkulissen die Alpin-Touristen in Scharen nach Grindelwald oder Zermatt.

Wer die lotrechte Nordwand des Eigers vor Augen hat, ist schwer beeindruckt – zweifelsohne. Einen ähnlich tiefen Eindruck hinterlassen die Kalkkolosse des Gesäuses. Doch steter Tropfen höhlt den Stein. So haben sich die Elemente mit der ihnen eignen Hartnäckigkeit daran gemacht, einen Weg durch den Fels zu fräsen. Ein Werk für die Ewigkeit, der einen engen Canyon entstehen ließ. Zwischen Admont und Hieflau, auf einer Länge von 15 Kilometer, zwängen sich die wilden Wasser durch die lotrecht aufragenden Kalkklippen aus teils dunklem, teils hellgrauem Dachstein-Dolomit.

Nördlich der Enns bestimmt die Buchsteingruppe die Szenerie, südlich schieben sich nacheinander die Admonter-Reichensteingruppe, die Hochtorgruppe und die Zinödl-Lugauer-Gruppe wie gewaltige Kulissenwände ins Bild. Felsschicht um Felsschicht hat die Urgewalt des Wassers mit der Präzision eines Seziermessers freigelegt und lässt Geologen tief in die Vergangenheit blicken. Die wilde Welt des Gesäuse ist für jeden Berg-Enthusiasten ein absolutes Highlight. Schwindelerregende Höhen, tief eingeschnittene Täler, Natur pur. Das strudelnde, schäumende, über Stromschnellen wirbelnde Wasser war der Namensgeber dieses rauen, wilden, nahezu menschenleeren Landstrichs. Erst im späten Mittelalter entstanden kleine Siedlungen wie Johnsbach oder Radmer, um Erz abzubauen, Almen anzulegen und den Holzhunger der Barockzeit zu stillen.

Das steinerne Herz des Gesäuses bildet die Hochtorgruppe, mit ihren 1000 Meter hohen Kalkwänden. Eine schier unüberwindliche vertikale Barriere, die in den Gipfeln des Großen Ödsteins und des 2369 Meter hohen Hochtors kulminiert. In den berühmt, berüchtigten Nordwände verunglückten Hunderte von Alpinisten. Selbst die einfachsten Aufstiege, die Normalwege, erfordern Trittsicherheit, Schwindelfreiheit und ein gewisses klettertechnisches Können. Drei „versicherte“ Wege führen aus dem Ennstal hinauf, durchs Haindlkar, über den Wasserfallweg oder den ursprünglichen Zustieg, dem Peternpfad. Von ähnlich beeindruckender Wildheit und Schroffheit sind die gezackten Zinnen der Reichenstein-Gruppe, mit dem Kalbling, dem Sparafeld und dem 2251 Meter hohen Reichenstein als Kulminationspunkten. Im Weichbild der Wände zeichnen sich auch hier anspruchsvolle Kletterrouten ab.

Dass es in einem solch wild gebärdenden Gebirge wie dem Gesäuse zu zahlreichen tödlichen Unfällen und Bergdramen kam, liegt in der Natur der Berge. Dort wurde ein Holzknecht vom Baum erschlagen, dort ein Almhirt vom Stier aufgespießt, dort erfror eine verirrte Bäuerin in der Eiseskälte des Winters. Von den zahllosen Bergsteigern und Kletterern gar nicht zu reden, die auf ihren Touren den Tod fanden.

Auf dem Johnsbacher Bergfriedhof zeugen die von Efeu überwucherten Grabplatten, die rostigen Gedenktafeln von den Opfern, die der Berg immer wieder einfordert. Auch andere Alpinisten, die in den fernen Anden oder im Himalaya in den Abgrund stürzten, fanden unter den ringsum aufragen Felswänden ihre letzte Ruhestätte – umrahmt von den Bergen, die ihr Schicksal besiegelten. Ein Ort, wie aus Raum und Zeit gefallen.

Dinesh Bauer

P.S: Meine Alpen-Krimis finden Sie im Buchhandel oder im Online-Handel bei den üblichen Verdächtigen: